Bodensee

Die alte Bodensee-Stadt Überlingen lässt es blühen

Hoch über der Westspitze des Bodensees, nach der gleichnamigen Stadt auch „Überlinger See“ genannt, ragen die imposanten vulkanischen Kegel des Hegaus. Ein landschaftliches Bindeglied zwischen dem Schwarzwald und dem sogenannten „Schwäbischen Meer“. Und in der Tat öffnet sich nach dem Passieren der erloschenen Riesen der Blick meerweit auf eine tiefblaue Wasserfläche, die übersät ist mit weißen, drei eckigen Segeln. Dieser westliche Teil des Bodensees ist wie geschaffen zur Einstimmung auf eine nicht nur sehr schöne, sondern auch ungemein kultur- und geschichtsträchtige Gegend, mit der es schon die Schöpfung besonders gut gemeint hat und zu der die Menschen ein Übriges beigetragen haben, sodass sich hier wahrlich blühende Landschaften und Städte entwickeln konnten. Beispiel dafür ist die unmittelbar am Nord-ufer gelegene Stadt Überlingen. Nicht nur wegen ihrer 1200 Jahre alten Geschichte im Rücken haben die Überlin ger beschlossen, unserer schnelllebigen Zeit etwas entgegenzusetzen.Diese Stadt hat es gar nicht nötig, Vergleiche zum Mediterranen heranzuziehen, sich „Riviera des Bodensees“ zu nennen, hat sie doch etwas ganz Eigenes, Unverwechselbares. Auch die wunderbare Uferpromenade, ihres Zeichens die längste am See, braucht keinen Superlativ, um äußerst einladend zum Flanieren zu sein. Von verschiedenen Stellen dieser Promenade aus erreicht man über ein ganzes Netz von Pfaden die unterschiedlichen öffentlichen Gärten und Parkanlagen. Wobei sich vielfältige Ausblicke über den See und die historische, mittelalterliche Altstadt eröffnen, namentlich von dem 1506 erbauten Gallerturm, der an der Hauptroute zu finden ist. Überlingen hat sich der Gartenkunst verschrieben, auch dies hat hier eine weit zurückreichende Tradition.

Der heutige „Überlinger Gartenpfad“ ist in Zusammenarbeit der Stadt mit der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft und dem Gartennetz Deutschland entstanden und ist inzwischen eine internationale Attraktion.Sehenswert sind auch der Uferpark mit seinen seltenen alten Bäumen und pittoresken Badehäuschen, Zeugen einer früheren Badekultur. Oder die Scheffelhöhe mit ihrem Lärchenhain und Lindenduft, benannt nach dem Dichter Viktor von Scheffel (1826-1886), der häufiger Kurgast in Überlingen war. Oder weiter zum Oberen Stadtgarten mit Waldpark, Pavillon und Rehgehege, das neben dem restaurierten „Hexenhäusle“ besonders die Kinder erfreut. Vorbei am Gallerturm mit seinem Kräutergarten, hin zur lauschig-stillen Uhlandhöhe über dem Stadtgraben, genannt Blatterngraben, mit weitem Blick über die Dächer der Altstadt, zum See. Auch der Dichter Ludwig Uhland (1787-1862), ein politisch aktiver Zeitgenosse, hat in Überlingen öfters Erholung gesucht. Gerne stellt man sich vor, er sei hier zu seinem Frühlingsgedicht inspiriert worden, in dessen zweiter Strophe es heißt: „Die Welt wird schöner mit jedem Tag, / Man weiß nicht, was noch werden mag, / das Blühen will nicht enden. / Es blüht das fernste tiefste Tal: / Nun, armes Herz, vergiss die Qual! / Nun muss sich alles, alles wenden.“Von der Uhlandhöhe geht es über einen Treppenweg, mit Sicht auf die Stadtmauer, bis hinab auf den Grund des Blatterngrabens, über den die Bäume der anliegenden Gärten ihre Kronen neigen. Die Grabenanlagen, im Zusam-menhang mit dem historischen Gepräge der Stadt von Bedeutung, sind heute denkmalgeschützt. Nach den Schwedenkriegen diente der Blatterngraben, wie sein Name schon sagt, zum Freigang für die Kranken des Leprosenhauses.

Nach diesem Abtauchen in Schatten und Ge-schichte geht’s zum Museumsgarten über den Dächern der Altstadt, mit Ausblick bis zur Alpenkette. Der Weg führt durch das Tor eines spätmittelalterlichen Patrizierpalastes, dem heutigen Reichlin-von-Meldegg-Haus mit sei-nem Städtischen Museum, hinein in den Garten, der sich in seiner geometrischen Anlage auf einem ebenen Plateau großzügig zwischen im Wind rauschenden Bäumen ausbreitet. Der verdiente Überlinger Kulturamtsleiter Michael Brunner gestand in einem Interview, dass er besonders gerne im Museumsgarten verweile: „Ich mag dort die idyllische und meist stille Atmosphäre ebenso wie die Theateraufführungen vor unvergleichlich romantischer Kulisse – ein Geheimtipp für alle Gäste, die etwas Besonderes erleben wollen, abseits von Kommerz und Massentourismus.“
Zumindest die Menzigerhausgärten sind aus dem weiteren, üppigen Gartenangebot noch zu erwähnen, traditionelle Kleingärten inmitten der Altstadt, in die der Weg hinabführt. Aber gemach, gemach… Wir befinden uns hier in einer Stadt, die sich bewusst abzukehren versucht von der üblichen Alltagshektik und Schnelllebigkeit unserer Zeit. Womit sich die Stadt das Gütesiegel „cit ta-slow“, das für eine Rückbesinnung auf Lebensqualität und menschliches Maß steht, erworben hat. Der Name „cit-taslow“, verziert mit dem Symbol der Schnecke, steht für eine Vereinigung von besonders lebenswerten und entschleunigten Städten, in die Überlingen erst als dritte deutsche Stadt aufgenommen wurde. Von einer Moral der Langsamkeit spricht der britische Alltagsforscher und Psychologe Richard Wiseman. Er ist dem Phänomen des sich weltweit immer mehr beschleunigenden Lebens nachgegangen, das sich vor allem an der Gehgeschwindigkeit von Stadtbewohnern festmachen lässt. Seine Untersuchungen ergaben, dass Menschen, die in schnellebigen Städten leben, sich weniger gegenseitig helfen und eher an Herzerkrankungen leiden. (Mehr dazu in Richard Wiseman: „Quirkologie“, Die wissenschaftliche Erforschung unseres Alltags, Fischer Taschenbuch). Die badische Stadt Überlingen, der man eine angenehme und entspannte Atmosphäre bescheinigen kann, pflegt nicht nur ihre Traditionen, ihre Kultur und Gartenkunst, sondern stellt sich auch kritisch den Forderungen unserer Zeit. Durch einen Zusammenschluss von Landwirten ist die Gegend um Überlin-gen seit 2004 eine gentechnikfreie Zone. Auch hat hier einer der ältesten Demeter-Bauernhöfe Deutschlands, der Rengoldshauser Hof, seinen Platz. Und so findet man jeden Mittwoch und Samstag auf dem schönen, weitläufigen Wochenmarkt auf der Hofstatt und auf dem samstäglichen Bauermarkt vor dem Münster eine Vielzahl von Bio-Produkten im Angebot. Und alles, was Gaumen und Sinne bekehren: Honig vom Imker, duftendes Brot, frisch geräucherten Fisch und üppige Blumenbouquets direkt aus dem Bauerngarten. Es ist wohl diese Verbindung von günstigem Klima, landschaftlicher Schönheit und gelassener Lebensart, die schon früh Dichter und Maler, Komponisten und Baumeister an den Bodensee zog und inspirierte. Was sie durch ihre Kreativität hinterließen, wirkt auch in Überlingen bis heute fort. Viele Künstler haben hier ihre Ateliers, es gibt hier Galerien und Museen, Musik und Theater in vielfältigem Angebot.

Nicht zu vergessen das Schlendern durch die Altstadt mit ihren vielen schönen verwinkelten Gassen, Plätzen und Winkeln, mit ihren kleinen Läden, Cafés und Restaurants, wo badische Kochkunst gepflegt und spritziger Überlinger Wein serviert wird. Nicht zu vergessen die Sehenswürdigkeiten, die Überlingen zu bieten hat. Allen voran das spätgotische, fünfschiffige Münster St.Nikolaus, das über dem alten Kern der ehemals freien Reichsstadt hoch aufragt. Es sind bisweilen über tausend Besucher am Tag, die die besondere Anziehungskraft dieses größten gotischen Kirchenbaus am Bodensee bezeugen. In der Basili-ka befi ndet sich der eindrucksvolle, von Jörg Zürn geschnitzte Lindenholzaltar aus der Spätrenaissance, ein Meister-werk des deutschen Manierismus. Gleich gegenüber steht das historische Rathaus aus der Renaissance mit seinem Rathaussaal, den man gesehen haben muss. Es ist ein heute noch genutzter Sitzungs-saal aus der Zeit, als Kolumbus Amerika entdeckte, ausgestattet mit einundvierzig fein gearbeitenen Holzfiguren, die für das damalige Ständesystem stehen. Ausklingen lassen könnte man diesen, an Eindrücken überreichen Tag beim Landungsplatz, auf einer Caféterrasse vor der Greth, mit ausschweifender, entspannender Sicht auf den See. Die Greth, ein stattliches modernisiertes Geschäftshaus mit klassizistischer Bausubstanz, ist heute ein Angelpunkt Überlinger Altstadtlebens. Hier lässt sich das Anlegen und In-See-Stechen der Schiffe beob achten, das Kommen und Gehen der Menschen, der Wandel des Lichts und das Sichverlängern der Schatten. Nicht zu übersehen auf dem schönen, mit Bäumen bestandenen und mit Bänken ausgestatteten Landungsplatz ist der seltsam anmutende „Lenk-Brunnen“, benannt nach seinem Schöpfer, dem Bildhauer Peter Lenk. Zu sehen ist, auf Fischflossen erhoben, ein alter Mann auf einem müden Esel, der nicht genau zu wissen scheint, wohin – zu einem Ritt über den Bodensee vielleicht? Zu ihm auf schauen alte, hängebrüstige Nixen mit spöttischen Gesten. Wer die Provokation oder den Witz verstehen will, muss wissen, dass der Eselsreiter, auch Bodenseereiter genannt, die Züge des berühmten Romanschriftstellers Martin Walser trägt, und dass dieser hochbetagte, bisweilen etwas eitle Mann, in Überlingen residiert. Er war zunächst brüskiert, soll es aber dann doch mit Humor genommen haben.

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