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Rückkehr der Vertriebenen

Auf leisen Pfoten schleichen sie sich heran. Wer nicht mit ihnen rechnet, wird sie vielleicht erst erkennen, wenn sie schon wieder weg sind – an ihren unverwechselbaren Spuren im Schnee oder weichen Boden. Oder an den Kadavern, die von Zeit zu Zeit am Straßenrand zu finden sind. Und plötzlich ist klar: sie sind wieder da oder waren vielleicht sogar nie wirklich verschollen, sondern hatten sich nur versteckt. Bei den Wildkatzen, die in den vergangenen fünf Jahren zwischen Rhein und Kaiserstuhl gefunden wurden, scheint sich der Verdacht mehr und mehr zu festigen: das sehr menschenscheue Tier könnte auch über all die Jahre nur übersehen worden sein.

Mit hoher Sicherheit ausgestorben war tatsächlich für ganze zwei Jahrhunderte der Luchs. Auch sein plötzliches Auftauchen bezeugten zunächst nur Totfunde: Im Jahr 1988 wurde ein Luchs bei Bad Krozingen überfahren, 1991 ein weiterer bei Waldkirch erlegt. Seither sammeln Umweltorganisationen wie der BUND und NABU eifrig Daten, wann wo welche Tiere auftauchen. Und siehe da: der scheue, nachtaktive Räuber mit den weichen Samtpfoten und den unverwechselbaren Pinselohren scheint tatsächlich wieder auf dem Vormarsch. Ausgedehnte Naturschutzgebiete und Plenterwälder, in denen nur vereinzelt Bäume entnommen werden, schaffen neue, attraktive Refugien, die eine Wiederansiedlung durch Wildkatze, Luchs und andere Großräuber begünstigen. Sind die Bedenken bei Schäfern, Landwirten und anderen Tierhaltern bei diesen Tierarten meist noch zurückhaltend, wird angesichts erster Nachrichten von wiederaufgetauchten Wölfen und Bären bei vielen die Toleranz auf eine harte Probe gestellt. Befürworter argumentieren jedoch stets: selbst wenn sich auch diese ursprünglich bei uns beheimateten Tiere irgendwann hier wieder niederlassen sollten, so beansprucht jedes von ihnen einen solch großen Radius an Jagdrevier und Lebensraum, dass es kaum zu schwerwiegenden Begegnungen zwischen Mensch und Tier kommen dürfte.

Wie hoch die Chancen jeweils sind,lange ausgestorbene Tierarten in der Region wieder anzutreffen, dazu äußert sich das Team Schweizer Autoren und Biologen um Daniel Küry in ihrem jüngst erschienen Band „Die Tierwelt der Region Basel“ sehr different. Während es beim Bär noch heißt: „Eine Einwanderung aus den Südalpen ist jedoch nicht möglich und Bären werden nicht aktiv angesiedelt“, räumen sie dem Wolf schon deutlich größere Chancen ein: „Und nun kehrt er zurück. Einzelne Tiere aus Italien, wo der Wolf nie ausgerottet worden ist und wo sich heute 500 bis 1.000 Individuen den Lebensraum mit etwa 80.000 verwilderten Hunden teilen müssen, dringen seit Jahren über die Alpen in die Schweiz vor.“ Gleichsam erteilen die Wissenschaftler der Region Schwarzwald – Basel – Vogesen erst einmal einen Dämpfer: Hier „wird der Wolf in den nächsten Jahren höchstens mit Einzeltieren auftauchen. Immerhin gelangen 2007 im Kanton Jura drei Beobachtungen von Wolfsspuren. Eine dauerhafte Etablierung scheint aber vorerst nicht wahrscheinlich.“ Und das, wo doch der letzte erlegte Wolf in den Vogesen gerade erst im Dezember 1994 sein Leben aushauchte. Er war wohl aus Italien an Genf vorbei eingewandert. Defi nitiv geschafft haben es der Biber und das Auerhuhn. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten sah es so aus, als würden beide den nachhaltigen Eingriffen in die Natur zum Opfer fallen.

Mittlerweile aber hat sich auch bei den Förstern und Landschaftsplanern die Überzeugung durchgesetzt, dass naturnahes Wirtschaften länger anhaltende, stabilere Ressourcen schafft. Nachhaltigkeit geht vor Raubbau. Das Auerwild dankt es dem Menschen, indem es sich in der Ortenau und am Feldberg zunehmend wohler fühlt. Und der Biber nähert sich von Süden her allmählich auch wieder dem Feldberg. Der dort zuständige hauptamtliche Naturschutzwart, besser bekannt als Feldbergranger Achim Laber, würde sich auf seinen Besuch freuen: „Etabliert hat er sich schon am Titisee und Schluchsee. Ich bin aber zuversichtlich, dass er es bis in 20 Jahren auch auf den Feldberg schafft.“ Wolf und Luchs traut er weniger zu: „Für den Luchs wird das schon schwieriger, da er Autobahnen meidet und viel Gehölzschutz braucht. Manche sagen daher: ‚Eher schafft es der Wolf‘.“ Sein Kollege im benachbarten Revier, Wutachranger Martin Schwenninger, beobachtet und verfolgt die Rückkehr einst heimischer Wildtierarten ebenso mit Genugtuung: „Bei uns sind drei Brutpaare des Uhus bekannt. Biber haben sich im unteren Bereich der Wutach angesiedelt, kommen aber selten nördlicher als bis Boll, da sie dort die Frühjahrshochwasser zu sehr stören. Dafür besucht uns ab und zu für kurze Zeit ein Steinadler aus der Schweiz.“ Dass im Buch der Schweizer Kollegen keinerlei Hinweise über den Biber zu finden sind, mag wohl auch daran liegen, dass er in der Schweiz gar nicht so selten ist. So ist bekannt, dass er sich im Rhonedelta am Genfersee recht wohl fühlt. Immerhin rund 400 Tiere leben aber doch mittlerweile auch bereits in Südbaden, wie Bettina Sättele weiß, die Biberexpertin beim Regierungspräsidium Freiburg. Sie nennt unter anderem die Wutach, Langenordnach und Hammereisenbach als beständige Reviere. Seit im Jahr 1980 bei Konstanz am Bodensee der letzte Fischotter gesichtet wurde, gilt dieser gesellige Bewohner von Auengewässern im ganzen Gebiet als ausgestorben. Küry schreibt dazu in seinem Buch „Die Tierwelt der Region Basel“: „Sein Ende war die Umgestaltung der Gewässer: Die Auen der Flüsse, einer der wichtigsten Lebensräume, wurden fast vollständig zerstört.“ Und weiter erklärt er: „Da Fischotter sehr große Räume beanspruchen, genügen kleine intakte Gewässerabschnitte nicht.“ Dazu komme die starke Verschmutzung der Gewässer. Was bleibt, sind die Hoffnungen der Tierschützer auf eine weitere Zunahme akzeptabler Lebensräume für die so selten gewordenen Tiere. Die Einrichtung eines Nationalparks im Schwarzwald wäre ein bedeutender Schritt in diese Richtung.

Das finden auch die Geschäftsführer der Schwarzwald Tourismus GmbH (STG), Christopher Krull, und der Tourismus- Marketing GmbH Baden- Württemberg (TMBW), Andreas Braun. Und Stephan Voegeli, Parkleiter im Alternativen Wolfund Bärenpark Schwarzwald, appelliert an die Bevölkerung: „Wir alle werden auf jeden Fall noch viel zu lernen haben, in erster Linie Toleranz, um wieder mit den alten neuen Mitbewohnern unserer Berge und Wälder, dem Bär, dem Wolf und dem Luchs zu einem friedlichen Nebeneinander zurückzufinden.“ Zumindest auf dem Papier wurden seit Kurzem ein paar stolze Rückkehrer gesichtet: „Luchs“ und „Elch“ nennen sich die ersten Serien der Deutschen Post zum Thema „Wiederbesiedlung durch heimische Wildtiere“, die aktuell im Handel erhältlich sind. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen, ist ein erster Schritt.

I n f o s u n d L i t e r a t u r :
– In Baden-Baden wurde 2009 der erste Luchspfad Deutschlands
eingeweiht (www.baden-baden.de)
– Stiftung zum Schutz des Luchses, (Sitz: Radolfzell,
Bodensee) www.euronatur-wildtiere.org
– Themenbroschüre „Naturschutz – der Luchs“
(auch als CD-ROM) und Infos auf: www.naturpark-suedschwarzwald.de/natur/seltene-arten/luchs
– Daniel Küry, Markus Ritter und Paul Imhof: Die Tierwelt
der Region Basel, Reinhardt Verlag, Basel, 2010,
ISBN 978-3-7245-1677-4, 26,- Euro
– Daniel Küry: Wanderungen zur Tierwelt der Region Basel,
Reinhardt Verlag, Basel, 2010, ISBN 978-3-7245-1678-1,
19,80 Euro (zusammen mit o.g. Band auch im Doppelpack
erhältlich und aufeinander abgestimmt)