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Fachwerk als Spiegel der Zeiten

Das alte Dach des ehemaligen Kornspeichers krümmt sich unter der Last der Jahrhunderte. Auch wenn sein Fachwerk tragende Eigenschaften besitzt, so hat es doch sichtlich gelitten im Laufe der Zeit und droht früher oder später einzustürzen, wenn nichts dagegen unternommen wird. Im Haus gleich daneben wurde ebenfalls die Fassade durch Fachwerk verschönert – aber nachträglich, wie man bei genauerem Hinsehen erkennt. Hier dient das oberflächlich aufgebrachte Fachwerk lediglich dazu, die Frontfassade zu schmücken und dadurch den typischen Stil der Umgebung zu imitieren. Aber die allzu sehr geschwungenen Linien des Holzes verraten, dass es dem Erbauer vorrangig um Schmuck und Zierde ging, als um statische Unterstützung des Hauses. Dieses Nebeneinander unterschiedlicher Fachwerkbauten ist charakteristisch für viele historische Altstädte in Baden- Württemberg und im Elsass. Im einen Fall legte man mehr Wert auf Aussehen, im anderen mehr auf die Funktion der Holzverstrebung. Wer genau hinsieht, erkennt die Unterschiede. Und nicht nur das: jedes Fachwerk verrät dem Kenner auch etwas über die Zeit, in dem es errichtet wurde.

Foto: Reinhold Wagner

So verwendeten zu einer früheren Zeit die Zimmermänner hölzerne Nägel anstelle eiserner, um die Balken miteinander zu verbinden. Und auch das Holz der Balken selbst verrät etwas über die Bauzeit. Die Zimmermänner im Mittelalter benutzten fast ausschließlich Eichenholz. Dieses konnte man ohne Anstrich verwenden. Erst um 1500 kam Nadelholz zum Einsatz. Es war günstiger zu bekommen und ein schneller nachwachsender Rohstoff. Der Unterschied zeigte sich oft erst nach vielen Jahrzehnten: Eichenholzfachwerk wird mit der Zeit zunehmend dichter und härter und erreicht beinahe die Stabilität und Tragkraft von Eisen. Fachwerk aus Nadelhölzern hingegen weicht mit der Zeit auf. Als Abhilfe dagegen wurde das Nadelholzfachwerk mit Farbe gestrichen. Ab dieser Zeit wurden die Häuser bunter. Und auch das Schmuckbedürfnis der Bewohner stieg. Die Häuser erhielten geschwungene Linien, in denen oft Formen und Muster verewigt wurden, die lokal oder für einen Berufsstand typisch waren. Schnörkel, Bögen, Einkerbungen und Verzierungen wurden herausgearbeitet – im Zeitalter der Renaissance waren die Künstler unter den Zimmermännern gefragt. Und das Fachwerk wurde zum ästhetisch anspruchsvollen Sichtfachwerk. In jeder Epoche wurden andere Farben für den Anstrich verwendet. Gelbes, ockerfarbenes Fachwerk wurde bevorzugt vor 1600 verwendet. Die Farbe bestand aus Mineralien. Rotes, sogenanntes „Alemannisches“ Fachwerk (zur Zeit der Alemannen gebaut), kam nach 1600 auf und enthält eisenhaltige Erde. Als Holz wurde zumeist Eiche verwendet, die mit Holznägeln zusammengehalten wurde. Graues Fachwerk hingegen, zumeist ohne Holznägel und mit mehr Verzierungen versehen, ist einer Mischung aus Kalk mit Asche zu verdanken. Es wird auch „Fränkisches“ Fachwerk genannt, da es zur Zeit der Franken bevorzugt verwendet wurde. Aber Vorsicht: Viele Fachwerkhäuser erhielten im Laufe der Jahrzehnte einen neuen Anstrich – oft wurde in diesem Zuge auch die Farbe geändert und der jeweiligen Zeit und Mode angepasst. Man muss also schon der Ursprungsfarbe auf den Grund gehen, will man zuverlässige Informationen über das mögliche Baujahr des Hauses erhalten. Denkmalschützer leisten da so manches Mal Feinarbeit beim Freilegen tiefer liegender Farbaufträge.

Foto: Reinhold Wagner

Lohn der Mühe sind die einzigartigen Baudenkmäler, die zum Teil als Einzelhaus zum Museum ausgebaut wurden wie beispielweise der Klausenhof und der Schneiderhof im Hotzenwald, das „Hüsli“ in Grafenhausen- Rothaus, der Schniederlihof auf dem Schauinsland bei Freiburg oder der Kaltwasserhof im Münstertal. Oder es wurden ganze Häuser umgesiedelt, in Museumsdörfern zusammengetragen und dort wieder aufgebaut. Dies kann man im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck und bei den Vogtsbauernhöfen in Gutach vorfinden. Während es beim Sichtfachwerk also auf die äußere Fassade ankommt, soll Putzfachwerk lediglich die Stabilität des Schlosses sicherstellen. Ein typisches Beispiel für ein solches Putzfachwerk ist das Ludwigsburger Schloss. Hierbei war von Anfang an nie vorgesehen, das Fachwerk nach außen hin sichtbar zu machen. Manche Fachwerkhäuser besitzen heute ein tragendes Putzfachwerk unter Putz und ein weiteres Sichtfachwerk als Schmuck nach außen hin. Das Rathaus in Bietigheim ist ein Beispiel hierfür. Es wurde erst vor wenigen Jahren frisch verputzt und gestrichen – in Fachwerkoptik, aber eben nur aufgemalter. Darunter befi ndet sich indessen eine Rarität unter den Putzfachwerken: das für die Statik verwendete Holz dieses Hauses besteht aus Floßholz. Typisch für alte Flößerstädte im Schwarzwald wurde das in Form von Flößen herantransportierte Holz seinerzeit für den Hausbau verwendet. Was man daran erkennen kann, dass die Balken noch die verräterischen Kerben und Löcher besitzen, mit denen die Stämme für den Transport zum Floß zusammengebunden wurden. Auch die Holznägel waren typisch für den Floßbau und lassen daher im Fachwerk auf die Verwendung von Eichenholz aus Flößen schließen. Was auf den ersten Blick nicht unbedingt immer sehr dekorativ aussieht, kann somit für den Experten wertvoller sein als jedes äußerlich sichtbare Deko-Element.

Leuchtende Beispiele traditioneller Fachwerkstädte verbindet die im Jahr 1990 gegründete Deutsche Fachwerkstraße auf 2.800 Kilometern Länge quer durch Deutschland. Darunter finden sich wie leuchtende Perlen aneinandergereiht die Schwarzwaldorte Calw, Altensteig, Dornstetten, Schiltach, Wolfach und Haslach, wovon die drei letzteren im Kinzigtal liegen. Einem Tal, das allein schon einen längeren Aufenthalt wert ist. Denn in Wolfach und Schiltach, werden neben dem bestens erhaltenen Fachwerk auch historische Schwarzwälder Berufe wie die der Flößer und Gerber lebendig gehalten. In Haslach wurde gleich ein ganzes zusammenhängendes Ensemble an wundervoll erhaltenen Fachwerkhäusern unter Denkmalschutz gestellt. Das Zusammenspiel aus breiten Marktund schmalen Wohn- und Handwerkergassen prägt das besondere Flair dieser Fachwerkstatt. Auch Hausach zählt mit seiner Altstadt mit dem historischen Rathaus zu den Juwelen dieser Ecke. Und wer die Fachwerkstraße über deren südwestliches Ende hinaus verlängert, entdeckt in Zell am Harmersbach und Gengenbach zwei weitere Vorzeigestädtchen, in denen sich die Baukunst der Schwarzwälder in den schönsten Fachwerkfassaden widerspiegelt.

I n f o s : w w w . d e u t s c h e – f a c h w e r k s t r a s s e . d e